Servicequalität lohnt sich auch in Brasilien

Dieses Mal für einmal kein Onlinethema. Gerade aus Brasilien von der WM zurück, möchte ich einige Gedanken hinsichtlich der Servicequalität teilen. Leider hat es Brasilien nach dem 1:7 gegen Deutschland nicht ins Finale geschafft, was ich sehr bedaure und den Brasilianern gewünscht hätte.
Brasilien ist ein wunderschönes Land und hat viel sehr freundliche Menschen. Doch ist Brasilien m.E. immer noch in vielen Dingen rückständig. Im Vorfeld der Fussballweltmeisterschaft wollte man der FIFA viele der Probleme anhängen. Ich bin kein Freund der FIFA, aber viele der Vorwürfe sind haltlos und viele Probleme sind hausgemacht. So ist unverständlich, dass 12 statt nur 8 der geforderten Stadien gebaut wurden, wovon jedes rund eine Viertelmilliarde gekostet hat. In Recife, Pernambuco hat man das Stadion so weit von der Stadt gebaut, dass man eine kleine Weltreise machen muss (ca. 1 Stunde Fahrt). Zudem sind einige der geplanten Zufahrten einfach nicht rechtzeitig fertig geworden. Das ist auch typisch für das Land.
Arena Pernambuco (Bildquelle: Jörg Eugster)
Ich war nun schon zum zehnten Male in Brasilien als Gast, denn mein Bruder wohnt in der Nähe von Recife. Seit meinem letzten Besuch vor sieben Jahren habe ich keine wirklichen Fortschritte erkennen können, ausser das heute viele ein Smartphone besitzen und ständig auf den Bildschirm schauen, genau so wie bei uns. Auch der Eisverkäufer unten im Bild schaute ständig auf seinen Bildschirm. Die Generation HD (= Head Down) eben!
Eisverkäufer – Praia da Pipa, Brasilien (Bildquelle: Jörg Eugster)

Erste Herausforderung: Die englische Sprache

Wenn man nach Brasilien kommt, ist es meist von Vorteil, wenn man portugiesisch kann. Doch wer möchte diese Sprache lernen, wenn er nur für zwei bis drei Wochen an die Fussball-WM fährt. Glücklicherweise kann ich mittlerweile die Grundbegriffe, so dass ich nicht verhungere und verdurste. Ohne portugiesisch ist man meist aufgeschmissen. Ein Strandbarbetreiber hat sich kürzlich beklagt, dass die Deutschen, die im nebenan gelegenen Hotel logierten, kein Wort portugiesisch gekonnt hätten. Er kann aber auch kein Englisch. Da stellt sich wirklich die Frage, ob der, der das Geld bringt, die Sprache beherrschen muss, oder der, der das Geld bekommt? Zumindest Englisch als gemeinsame Basis wäre angebracht. Hier stellt sich ganz einfach die Frage, ob ich als Verkäufer die Sprache des Kunden sprechen möchte, oder nicht.
Doch in Brasilien ist die englische Sprache kaum existent, nicht einmal an touristischen Orten. Ich spreche hier nicht vom Zimmermädchen, dem Taxifahrer, den Angestellten in der weit abgelegenen Pousada, nein, da ist die Erwartungshaltung eine andere. Zum Abschluss meiner Reise war ich in einem Viersternehotel in Paulista, Pernambuco, unweit von Recife. Die wenigsten der Receptionsangestellten, immerhin das Kader eines jeden Hotels, konnten englisch, nicht auch nur ein paar Brocken. Wenn jemand aber ein paar Brocken englisch kann, dann ist es so schlecht („What is your name“ können die meisten, dann ist aber Schluss), dass sogar meine Portugiesischkenntnisse im Vergleich dazu fast überirdisch gut sind.
Hotel Casa Blanca, Paulista Pernambuco (Bildquelle: Jörg Eugster)
Im Vorfeld der WM haben die offiziellen Stellen Englischkurse angeboten. Doch vermutlich wurden diese mehr schlecht als recht genutzt, denn in den Stadien drin hatte es ebenso kaum jemanden, der gutes Englisch sprach. Und das am zweitgrössten Sportanlass der Welt!
Und wenn Sie in einer Pousada in den vielen Fernsehkanälen einen anderssprachigen Sender auf deutsch, englisch oder französisch suchen, dann werden Sie wenig Erfolg haben. In meinem Viersternehotel hatte es immerhin je einen französisch- und italienischsprachigen Sender und sogar deren zwei auf englisch, die aber leider nicht funktionierten.
Wenn sich dieses Land in der ganzen Welt besser verkaufen möchte, muss es sich dringend öffnen und eben auch andere Sprachen wie z.B. englisch auf einer breiten Basis sprechen.

Zweite Herausforderung: Servicequalität

Auch wenn Sie kein portugiesisch können, lernen Sie rasch einige Brocken, die Sie immer wieder hören. Z.B. ist einer der meist gehörten Phrasen „Não tem“. Das heisst: Hat bzw. gibt es nicht. Sie verlangen etwas, was auf der Karte steht, dann heisst es oft „não tem“. Keine Anstalten, eine Alternative anzubieten, oder gar sich dafür zu entschuldigen. Den meisten Angestellten scheint es völlig egal zu sein. Mein Bruder meinte, das hänge mit den schlechten Löhnen zusammen. Kann sein, aber eine gute Servicequalität kann sich sogar in Brasilien positiv auswirken.

Beispiel Nr. 1:

Mein Bruder hat für mich in einer Pousada in der Nähe von Natal gebucht. Er hat bei der Reservierung erwähnt, dass ich zum Frühstück gerne Vollkornbrot und Joghurt essen. Die haben das damals, einige Monate vor meiner Ankunft aufgeschrieben und entsprechend besorgt! Der Service von Yovoneide war hier viel persönlicher und besser als im Viersternehotel, obwohl die Pousade dreimal billiger war. Es geht eben doch. Und dann ist man als Gast auch sehr gerne bereit, ein fürstliches Trinkgeld für die gute Leistung zu bezahlen.
Pousada Custa Dourada, Baia Formosa (Bildquelle: Jörg Eugster)

Beispiel Nr. 2:

Am Strand bin ich an einer Reihe von Strandbars, die dort „barraca“ heissen, vorbeigekommen. Ich wollte mir eine Erfrischung gönnen und habe die passende barraca ausgesucht. Einige der barracas hatten überhaupt keine Gäste, andere sehr wenige, doch eine Bar hatte sehr viele Gäste. Das hat mich neugierig gemacht, weshalb sich die Gäste nicht besser auf die vielen Bars verteilen. Kaum sass ich, wurde ich schon per Handschlag begrüsst und der Bedienstete stellte sich als Ailton vor und hiess mich willkommen. Das ist in Brasilien völlig unüblich, aber hat gewirkt. Er hat sich damit wohltuend von den anderen abgehoben. Heisst das bei uns nicht USP?
Sofort wurde der Tisch geputzt, was man sonst oft erbitten muss. Nach der Bestellungsaufgabe habe ich den Sonnenschirm geöffnet. Doch ein Windstoss blies den Sonnenschirm weg. Sofort kam Ailton und half mir, den Sonnenschirm wieder zu richten. Am nächsten Tag wurde ich von seinem Kollegen Marcelo dieses Mal herzlich auf englisch begrüsst, das ich nebenbei nicht verstanden habe, aber was ihn trotzdem unheimlich sympathisch machte. Beide rannten, damit ihre Kunden nicht warten mussten! Auch das ist in Brasilien sehr untypisch. Gerade wegen dieser kleinen „grossen“ Leistungen war diese Bar stets gut besetzt.
An diesem Ort wurde ich bei der Bezahlung sogar gefragt, ob ich den in Brasilien unüblichen Servicezuschlag von 10 % bezahlen möchte. Andernorts, wo der Service oftmals schlecht und unpersönlich war, hat man ihn einfach draufgeschlagen und gehofft, man sage als „Gringo“ eben nichts. Natürlich habe ich dann bei Ailton und Marcelo das Trinkgeld nochmals erhöht, einfach weil ich als Gast sehr zufrieden war.
Ailtons Strandbar Pau Amarelo (Bildquelle: Jörg Eugster)

Brasilien braucht mehr Ailtons

Die Probleme, die im Vorfeld in Protestaktionen kund gemacht wurden, sind eine brasilieninterne Angelegenheit. Dieses Land, mit den wunderschönsten Stränden und den freundlichsten Menschen, die man sich vorstellen kann, braucht mehr Ailtons, die auf der anderen Seite aber gut englisch sprechen können. Nur dann kann dieses Land einen Schritt in seiner Entwicklung vorwärts kommen. Nur eine schöne Natur und freundliche Menschen reicht dem Tourist heute nicht mehr.
Was die Brasilianer uns aber voraus haben, ist die Freundlichkeit und die Freude, die sie zeigen können. Emotionen pur, wie das Video unten zeigt.



Gerne hätte ich mir gewünscht, die Brasilianer hätten auch im Finale sich so freuen können. Doch es gibt Wichtigeres im Leben, wie z.B. einen sicheren Job und ein gutes Einkommen. Dafür müssen aber die Brasilianer mehr in die Servicequalität investieren, und das beginnt im Kopf eines jeden. Bei Ailton ist das offenbar schon lange angekommen.
 

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